Nach einer gefühlten Ewigkeit traut sich tatsächlich wieder ein Hersteller einen Schachcomputer neu auf den Markt zu werfen. Dabei ist nicht die Rede von einem Anfängercomputer wo das Schachprogramm eine Nebenrolle spielt, in Gemeinschaft mit Dame, Reversi, Tic-Tac-Toe und sonstigen Spielen. Nein - auf der Verpackung ist es angekündigt:
Der Schachcomputer für Turnier- und Vereinsspieler, Spielstärke >2000 ELO! Das ist mal eine Hausnummer. Meist sind diese Ankündigungen ja Schall und Rauch, doch der Programmierer des Schachprogramms ist kein geringerer als
Richard Lang, der Serien-Weltmeister aus den 80er/90er Jahren.
Schaut man auf die technischen Daten, so verspricht ein
ARM Cortex M4 Prozessor mit 48 MHz eine solide Rechenleistung. Der
ChessGenius läuft sowieso auf verschiedenster Hardware, da war eine Anpassung auf die neue Umgebung wohl eine leichtere Aufgabe für Richard Lang. Herausgekommen ist dabei der
Millennium ChessGenius in einem der preiswerten Drucksensorgehäuse wie man sie heutzutage kennt. Preis: 99€.

Als erstes fällt mir nach dem Auspacken auf: Das Ding ist ulta-leicht! Könnte fast als Frisbee-Scheibe verwendet werden. Durch seine seitlich abgerundete Form steht der
ChessGenius sicher auf dem Tisch. Das schwarzgefärbte Gehäuse ist matt lackiert und wirkt ansprechender als auf vorher veröffentlichten Hochglanz-Fotos. Das Drucksensorbrett spricht bei verkantet aufgesetzten Figuren gut an, allerdings sind mir die mitgelieferten Schachfiguren ein Greuel. Unstimmig in den Proportionen und zu rutschig auf dem Brett. Die Tasten sind jedem Mephisto-Fan bekannt, ebenso wie die klar strukturierte Menuführung. Das LCD Spielbrett hätte man sich schenken können, da viel zu klein. Stattdessen wäre eine größere Textinformation hilfreicher, denn durch die eingesparten LEDs zur Zuganzeige ist man auf das Display angewiesen. Da gestaltet sich das Ablesen von Zug, Hauptvariante, Stellungsbewertung & Co. recht mühselig. Immerhin hat man dem Display eine Hintergrundbeleuchtung spendiert. Ein Netzadapter wird übrigens
nicht mitgeliefert (dieser muss separat geordert werden), dafür 3x AA Batterien.

Zur Spielstärke: In den bekannten Foren bei
Schachcomputer.info und
HIARCS Chess Forums wurden bereits die ersten Partien gepostet. Aktueller Stand: Auf Aktiv-Level, 30 Sek/Zug, erreicht der
Millennium Chess Genius knapp 2200 ELO. Auf Turnierstufe kann er dies (noch) nicht bestätigen. Ein sehr interessanter Vergleich mit älteren Programmen aus der Feder von Richard Lang, bietet sich durch den
BT2630-Test an. Wie schlägt sich der neue
ChessGenius bei diesen Aufgaben?
Robert hat diesen Test durchgeführt und auf
Schachcomputer.info veröffentlicht.
BT2630 Nr. |
ChessGenius |
London 68030 |
Genius 68030 |
Berlin pro London |
1 |
134 |
1 |
1 |
1 |
2 |
230 |
5 |
4 |
8 |
3 |
100 |
1 |
6 |
3 |
4 |
133 |
900 |
900 |
900 |
5 |
900 |
102 |
900 |
203 |
6 |
1 |
8 |
4 |
8 |
7 |
1 |
1 |
1 |
2 |
8 |
25 |
82 |
1 |
128 |
9 |
900 |
900 |
900 |
900 |
10 |
1 |
284 |
210 |
350 |
11 |
3 |
5 |
5 |
7 |
12 |
30 |
84 |
85 |
125 |
13 |
900 |
900 |
900 |
900 |
14 |
4 |
120 |
62 |
238 |
15 |
900 |
900 |
900 |
900 |
16 |
900 |
900 |
900 |
900 |
17 |
11 |
3 |
3 |
5 |
18 |
80 |
11 |
11 |
13 |
19 |
115 |
28 |
52 |
10 |
20 |
135 |
22 |
782 |
29 |
21 |
900 |
900 |
900 |
900 |
22 |
145 |
134 |
130 |
149 |
23 |
900 |
900 |
900 |
900 |
24 |
900 |
124 |
123 |
181 |
25 |
900 |
126 |
125 |
214 |
26 |
900 |
900 |
900 |
900 |
27 |
5 |
283 |
330 |
424 |
28 |
900 |
900 |
900 |
900 |
29 |
900 |
900 |
900 |
900 |
30 |
447 |
95 |
260 |
153 |
Summe |
12400 |
10519 |
12095 |
11251 |
BT - ELO |
2216 |
2279 |
2227 |
2255 |
Millennium ChessGenius Partien: Aktivschach 30Sek/Zug
Die taktische Leistung liegt also fast auf gleicher Höhe mit den 68020/68030-Boliden der 90er. Ein kurzer Blick auf die Einzelresultate zeigt aber sofort: Hier sind große Abweichungen in den Lösungszeiten des ChessGenius zu erkennen. Welche Veränderungen vorgenommen wurden und wie sich diese im praktischen Spiel bemerkbar machen, wird sich zeigen. Meine erste Vermutung: Richard Lang hat einiges an Schachwissen geopfert, um das Programm so klein wie möglich zu halten. Auf schnellen Smartphones/Tablets genügt die Suchtiefe alleine, um eine hohe Spielstärke zu erlangen. Dieses Prinzip soll sich nun auch beim Millennium ChessGenius bewähren. Ich bin gespannt, ob sich diese Geschichte weiter entwickelt.